Offener Brief zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim (13.12.2022)

Stellungnahme zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 23. November 2022 im Einzelfall eine zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigung zur Überbelegung einer Kita zu erteilen, erreicht die Diskussion zur Betreuung und Bildung in den sowieso schon sehr angeschlagenen Kitas eine neue Dimension.

Diese Entscheidung ist für die pädagogische Praxis fatal und setzt ein völlig falsches Zeichen: Ein Kind mehr im Einzelfall ist doch kein Problem?! Jedes einzelne Kind mehr in ohnehin schon

überfüllten Gruppen mit zu wenigen Fachkräften stellt sehr wohl ein Problem dar, dies zeichnet sich im Alltag bereits jetzt ab. Der Fokus bei größerer Gruppenstärke liegt auf satt und sauber, Bildung und Erziehung stehen dann hinten an. Solche juristischen Entscheidungen lassen in der Praxis die Waagschale zu Gunsten der Betreuung kippen.

Der Dreiklang zwischen Betreuung, Bildung und Erziehung muss wieder ausgewogen werden.

Eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung legt den Grundstein für die weitere Entwicklung. Um wirklich Chancengleichheit zu erreichen muss es endlich möglich werden, dass in Kitas die frühkindliche Bildungsarbeit wieder zuverlässig stattfinden kann.

Mit diesem Beschluss steht der Rechtsanspruch über dem Kindeswohl. Gerade in der heutigen Zeit aber stellen Experten fest, dass immer mehr Kinder unter Lärm und Reizüberflutung leiden. Eine generelle oder auch temporäre Erweiterung der Gruppenstärke in bestehenden, teils veralteten und zu engen Räumlichkeiten, erhöht diese Stressoren bei Kindern und pädagogischen Fachkräften und wirkt sich unmittelbar gesundheitsschädlich aus. Zudem benötigen immer mehr Kinder eine individuelle und intensive Begleitung und dies nicht allein im Bereich der Sprachförderung oder der Vermittlung von Deutschkenntnissen. Dadurch wird die ohnehin dünne Personaldecke bereits stark strapaziert. Jedes Kind mehr bedeutet im Umkehrschluss für jedes Kind weniger Zeit und damit einhergehend eine größere Gefährdung, da die Aufsichtspflicht und die Umsetzung des Gewaltschutzkonzepts nicht mehr sicher gewährleistet werden können. Elementare Kinderrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Bildung können bereits unter den aktuell bestehenden Rahmenbedingungen nicht realisiert werden und sind bald unerreichbar.

Bildungsdokumentationen, Elterngespräche, Portfolios, Projektarbeit und zahlreiche alltägliche Aufgaben mehr sind wichtig und zeitintensiv. Diese können nicht mehr erfüllt werden, weil den Fachkräften die Zeit fehlt, sich damit auseinanderzusetzen. Verfügungszeiten werden häufig gestrichen, um die Betreuungszeiten nicht einschränken zu müssen.

​Die Auswirkungen spüren wir seit geraumer Zeit: immer mehr Fachkräfte kehren den Kitas den Rücken zu oder beginnen erst gar nicht im Kita-Bereich weil ihr Anspruch an qualitativ hochwertige Arbeit mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist.

Diese Diskrepanz führt zu emotionalem Stress, welcher wiederum einen hohen Krankenstand hervorruft. Zudem ist der Beruf für junge Menschen aus verschiedenen Gründen nicht mehr attraktiv. Wir befürworten die Idee Quereinsteiger *innen zu gewinnen. Wenn die Qualifizierung hier auf gleichem Niveau mit den Inhalten aus der regulären Ausbildung stattfindet, kann dies eine Bereicherung für die Arbeit in den Kitas sein.

Wir haben vollstes Verständnis für die Not berufstätiger Eltern.

Der Fokus der Betreuung verschiebt sich immer weiter auf die Einrichtungen, da sich Strukturen wandeln und Betreuungsmöglichkeiten innerhalb der Familien und Sozialgefüge wegfallen.

Der Druck der Arbeitnehmer*innen ist enorm. Hier ist dringend Handlungsbedarf: Arbeitgeber*innen und freie Wirtschaft müssen mit in die Verantwortung genommen werden. Gemeinsam muss über neue Arbeitszeitmodelle, Formen der Kinderbetreuung sowie deren Finanzierung diskutiert und Lösungen gefunden werden.

Die Kommunen stecken in einem Dilemma, da sie permanent den Spagat zwischen Gesundheitsschutz des Personals sowie Einhaltung von Vorgaben zum Kindesschutz einerseits und dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz andererseits leisten müssen. Der nun durch den Verwaltungsgerichtshof gefällte Beschluss zeigt auf, in welche Richtung die Kommunen angehalten sind zu handeln und er zeigt klar auf in welchem Rahmen die Landes- und Bundespolitik angehalten ist nach zu justieren, damit Bildung, Erziehung und Betreuung wieder gleichberechtigt in der Waagschale liegen.

Ein „weiter so“ kann es unter diesen Umständen nicht geben. Realität und geltendes Recht müssen in Einklang gebracht werden.

Mit freundlichen Grüßen

Anja Braekow, 1. Vorsitzende

Anja Halder, 2. Vorsitzende

 

Zum weiterlesen haben wir hier den Link vom Spiegel eingeführt. In unseren Augen eine fatale Entscheidung.

https://www.spiegel.de/panorama/bildung/verwaltungsgerichtshof-mannheim-eltern-haben-anspruch-auf-kita-platz-auch-bei-personalmangel-a-a10f4a95-3e10-40ae-b90a-f13acaef7fd1?fbclid=IwAR0jzr8mDADgA-DTqNvnOtBSO7nuBEZ5kcfy7ZSBHXx7l40ftWm1GX42kqs

Stellungnahme zur Änderung der KitaVO (Nov 22)

Bereits im Vorfeld der Gesetzesänderung hatten wir die Möglichkeit eine Stellungnahme abzugeben. Wir bedanken uns beim Kultusministerium BW für diese Möglichkeit.

Hier kannst Du die Stellungnahme nachlesen:

Stellungnahme KitaVO Nov22_EF

Wir freuen uns über Rückmeldungen, Austausch oder Presseanfragen.

Die Zeit nicht mehr von einer Katastrophe in die nächste zu schlittern muss nun zu Ende gehen.

PM zur Änderung der KitaVo (14.12.2022)

Gestern erreichte die Kitas in Baden-Württemberg das Schreiben aus dem KM. Lange befürchtet und nun schwarz auf weiß, die Träger dürfen die Gruppengröße auf Antrag erhöhen. Diese Möglichkeit gab es bereits während der Corona-KitaVO.

StS-Schreiben - Änderung der KitaVO

Hier unsere Pressemitteilung:

„Bildung wird in Baden-Württemberg scheinbar klein geschrieben“ kritisiert Anja Braekow 1. Vorsitzende vom Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg die Pläne der Regierung scharf.
Eine Vergrößerung der Kita-Gruppen sein ein „signifikant falsches Signal an die Kommunen und Fachkräfte. Denn es bedeutet das Betreuung über Bildung steht und das kann und darf sich unsere Gesellschaft nicht leisten“ unterstreicht sie. „Immer mehr Kinder benötigen Sprachförderung und individuelle Begleitung und Eltern brauchen immer mehr Unterstützung, die Arbeitsbelastung steigt also stetig. In dieser eh schon angespannten Situation noch mehr Kinder zu betreuen endet in einem Desaster“ mahnt Braekow an.
„Die kommunalen Spitzenverbände und das Land stellen den Rechtsanspruch auf Betreuung über das Kindeswohl und die Bildung. Hier wird ein in unseren Augen völliger falscher Weg eingeschlagen der uns mittelfristig durch eine Kündigung- und Krankheitswelle mehr Kita-Plätze kostet als bringt“ weiter führt Braekow aus “ wir brauchen dringend Entlastung in den Kitas damit nicht auch noch das verbliebene Personal abwandert. Diese würde man zeitnah und relativ kostengünstig zum Beispiel über FSJ Kräfte, Hauswirtschaftskräfte, Integrationskräfte und Verwaltungskräfte schaffen.“
Wir stehen für Presseanfragen oder Rückmeldungen gerne zur Verfügung.

 

Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim – Kitaplatz (06.12.2022)

Nach einer Klage eines Elternpaares wurde der Rechtsanspruch eines Kindes auf einen Kitaplatz sichergestellt. Nachzulesen zum Beispiel hier:

4https://www.sueddeutsche.de/leben/kindergaerten-mannheim-gericht-staerkt-kita-anspruch-von-familien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-221206-99-799784

Dieser Beschluss mag rechtlich einwandfrei sein, für uns als Kitafachkräfte setzt es ein Zeichen dem wir uns entschieden entgegen stemmen. Unsere Pressemitteilung vom 11.12.2022:

„Der Dreiklang zwischen Bildung – Erziehung – Betreuung muss in baden-württembergischen Kitas endlich wieder ausgewogen werden“ äußert sich Anja Braekow 1. Vorsitzende des Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg über den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mannheims. „Der nun durch den Verwaltungsgerichtshof gefällte Beschluss zeigt auf, in welche Richtung die Kommunen angehalten sind zu handeln und er zeigt klar auf, in welchem Rahmen die Landes- und Bundespolitik angehalten ist nachzujustieren, damit das Verhältnis zwischen Bildung – Erziehung – Betreuung nicht völlig aus dem Gleichgewicht gerät“ führt sie weiter aus. „In der aktuellen Situation sind alle gefordert: Arbeitgeber, Kommunen, Bund und Länder, um Betreuungsplätze zu schaffen und dabei die Qualität in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen nicht aus dem Blick zu verlieren“, denn die Bildungsqualität ist es, die für Chancengleichheit sorgen wird und die Arbeitszufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte maßgeblich beeinflusst. „Die Auswirkungen spüren wir seit geraumer Zeit: immer mehr Fachkräfte kehren den Kitas den Rücken zu oder beginnen erst gar nicht im Kita-Bereich, weil ihr Anspruch an qualitativ hochwertige Arbeit mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist. Diese Diskrepanz führt zu emotionalem Stress, welcher wiederum einen hohen Krankenstand beim Personal hervorruft“ führt Anja Braekow weiter aus.
„Mit diesem Beschluss steht der Rechtsanspruch über dem Kindeswohl. Gerade in der heutigen Zeit, so stellen immer mehr Experten fest, leiden kleine Kinder zusehends unter Lärm und Reizüberflutung. Eine generelle oder auch temporäre Erweiterung der Gruppenstärke in bestehenden, teils veralteten und zu kleinen Räumlichkeiten, erhöht diese Stressoren bei Kindern und pädagogischen Fachkräften und wirkt sich unmittelbar gesundheitsschädlich aus“, beschreibt sie eine der vielen Auswirkungen einer Gruppengrößenerweiterung.
Braekow fordert ein Kita-Qualitätstreffen, denn „die Wichtigkeit der frühkindlichen Bildung und die Qualität in den Kitas muss endlich wieder in den Fokus rücken. Nur dann kann es gelingen, Fachkräfte zu gewinnen und allen Kindern ein gutes Bildungs-Fundament mitzugeben. Hierfür braucht es aber die entsprechenden Bedingungen und über diese müssen wir mit allen Beteiligten diskutieren“.

 

Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der AfD Fraktion (Nachtrag)

Im Juli 2022 erreichte uns ein Gesetzentwurf der Fraktion der AfD
Gesetz zur Verbesserung der der Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Schulstart (Gesetz zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes)
In diesem Entwurf sieht die AfD eine Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) vor, indem sie folgende Forderungen stellt:
  • Alle Kinder, die einen Kindergarten oder eine Kindertagesstätte besuchen und ein Jahr vor ihrer Einschulung stehen, müssen bis zu ihrer Einschulung eine Schulvorbereitungsgruppe in ihrer Einrichtung besuchen
  • Die Aufgabe der Schulvorbereitungsgruppen besteht in der Herstellung der Grundschulfähigkeit ohne Vorwegnahme der Lerninhalte der Grundschule.
  • Der Unterricht in den Gruppen erfolgt vormittags und hat einen Umfang von täglich vier Stunden an fünf Tagen in der Woche
  • Gefördert werden die schriftsprachlichen und mathematischen Vorläuferkompetenzen, die Feinmotorik und die räumliche Orientierung durch Unterricht in Deutsch und Rechnen im Umfang von jeweils 6 Wochenstunden sowie in Sport und Heimatkunde im Umfang von jeweils 4 Wochenstunden
  • Zum Abschluss der Schulvorbereitungsgruppe erfolgt eine Prüfung, in der Lernerfolg, Verhalten und Mitarbeit benotet werden
  • Im Orientierungsplan Erziehung und Bildung wird die Schulvorbereitung als Schwerpunkt verankert.
Wir, der Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg bezogen Stellung. Wir erachten eine solche Gesetzesänderung als nicht notwendig, weil
  • über 90 % der Kinder im Vorschulalter in Baden-Württemberg den Elementarbereich einer Kita besuchen
  • der Elementarbereich in der Regel drei Jahre besucht wird
  • das Kind in diesen drei Jahren frühkindliche Bildung in Form von ganzheitlicher Förderung erfährt
  • dies die Schulung der Fein- und Grobmotorik, die räumliche Orientierung, Verantwortung für sich, Mitmenschen und der Umwelt zu übernehmen, Partizipation zu leben, soziale Fähigkeiten wie Empathie zu entwickeln, frühe mathematische Bildung und Sprachkompetenzen beinhaltet
  • die Kinder im Elementarbereich soziale und emotionale Kompetenzen entwickeln und damit das Fundament der Persönlichkeitsentwicklung gelegt wird
  • das Modell der altersgetrennten Gruppen in der Elementarpädagogik bereits in den 1980er-Jahren aus pädagogischen Gründen weitestgehend abgeschafft wurde
  • es in den meisten Kitas in Baden-Württemberg gute Vorschulprogramme gibt, in denen die Kinder intensiv auf die Schule vorbereitet werden
  • der vorhandene Orientierungsplan aktuell überarbeitet wird und hierbei eine verbindliche Kooperation Kindergarten-Schule sowie Vorschulangebote festgeschrieben werden
  • nach aktuellem wissenschaftlichem Stand das Kind im Fokus bleiben soll
  • frühkindliche Bildung nicht mit schulischer Wissensvermittlung verbunden werden soll
  • kindliche Bildung Persönlichkeitsbildung ist und somit ganzheitlich zu verstehen ist
  • Schulfähigkeit bedeutet z. B. ein Kind hat lebenspraktische Kompetenzen erworben, kann Frustrationen aushalten, für sich einstehen und sich für eine kurze Zeitspanne auf ein Thema fokussieren und konzentrieren
Den kompletten Gesetzentwurf sowie unsere Stellungnahme könnt ihr in den anhängenden Dateien nachlesen.
Gesetzesentwurf der AfD 2022.07.14 Stellungnahme zum Gesetzentwurf der AfD

Wir treffen uns – Prof. Dr. Fröhlich-Gildhoff (03.11.2022)

Online-Treffen der Verbände mit Prof. Dr. Fröhlich-Gildhoff

 „Das Kita-System steht vor dem Kollaps“ heißt der Titel eines Brandbriefes, den mehr als 150 Wissenschaftler*innen unterzeichnet haben. Anfang November nahm sich der Initiator des Schreibens Zeit für ein Kennenlernen und den Austausch mit den Kita-Fachkräfteverbänden.

 

Wir haben Prof. Dr. Fröhlich-Gildhoff folgende Fragen gestellt:

  • Wie kam das Schreiben/die Allianz zustande? Was hat Sie zu dieser Initiative bewogen?
  • Welche Reaktionen gab es bisher auf das Schreiben von politischer Seite?
  • Wie nehmen Sie die Entwicklung der frühkindlichen Bildung bzw. der Kita-Qualität und der Rahmenbedingungen in den letzten Jahren wahr?
  • Es gibt wenige Gebiete, auf denen sich Wissenschaft und Fachpraxis so einig sind, wie bei der Frage nach kindgerechten Kita- Rahmenbedingungen. Es gibt hier niemanden, der den deutschen Kitas eine kindgerechte Qualität attestiert. Wie können sich Praxis und Wissenschaft gemeinsam für kindgerechte Bedingungen starkmachen?

Hier die Zusammenfassung des Austausches:

Herr Fröhlich- Gildhoff steht seit Jahren in engem Austausch mit der Praxis bei Fortbildungen, in der Forschung und durch die Evaluation des neuen Kita-Gesetzes, in die er involviert ist. Seit 20 Jahren weist die Wissenschaft darauf hin, dass im Sinne der Kinder Verbesserungen notwendig sind. Genauso lange heißt es bei den Verantwortlichen, dass für Verbesserungen der pädagogischen Qualität kein Geld da sei. Die Hochschulwelt ist bundesweit gut vernetzt, und so wurde gemeinsam mit 10 Kollegen das Schreiben initiiert. Die Initiative fand ein großes Echo. Fast alle namhaften Professoren und auch wissenschaftliche Mitarbeiter aus dem Bereich der frühkindlichen Bildung haben unterzeichnet. Ein paar konnten leider aus politischen Verpflichtungen heraus nicht unterschreiben. Den Unterzeichnern war wichtig, dass sich die Wissenschaft positioniert. Es gab viel Resonanz und Zustimmung aus der Praxis, von der einzelnen Erzieherin bis hin zu den Verbänden. Auch das Bundeskabinett und Ministerien auf Bundes- und Landesebene haben geantwortet. Der Brief fand großes mediales Interesse und wurde sogar in der Heute Show thematisiert (Siehe https://www.youtube.com/watch?v=vmlztxdOTDw ).

In den letzten 20 Jahren hat sich viel getan im Kita-System. Es wurde quantitativ immer weiter ausgebaut. Qualitativ gesehen, hat man den Wert der frühkindlichen Bildung erkannt und in diesem Bereich Anforderungen festgeschrieben. Die personellen und räumlichen Ressourcen, um die qualitativen Ansprüche umzusetzen, sind leider nicht angepasst worden. Große Sorgen macht Herrn Fröhlich-Gildhoff auch der Fachkräftemangel. Die Zahlen dazu sind schon seit mindestens 10 Jahren bekannt. Nun versucht man mehr Hilfskräfte einzusetzen, was zu einer Dequalifizierung führt. Die Studien zu multiprofessionellen Teams, in die nicht pädagogisch ausgebildete Kräfte eingebunden werden, sind wenig positiv. Dass nun in einigen Bundesländern Gruppengrößen weiter erhöht werden, grenzt an eine Kindeswohlgefährdung. Das ist fachlich nicht zu begründen.

Die im Schreiben genannten Erkenntnisse sind nicht neu. Es gibt keine Untersuchungen, die schlechte Fachkraft-Kind Relationen oder große Gruppen für unbedenklich halten. Wäre die Wissenschaft hier nicht einig, hätten nicht so viele namhafte Experten das Schreiben unterzeichnet.

Prof. Fröhlich-Gildhoff ist froh, dass sich Kita-Fachkräfteverbände gegründet haben. Viel zu lange haben Fachkräfte irgendwie durchgehalten und nicht über die Probleme gesprochen. Es gab und gibt in Kitas eine Art Präsentismus. In Konzepten und Projekten wird nach außen hin eine gute pädagogische Arbeit und ein hoher Bildungsanspruch präsentiert. Darüber, wie es im Kita-Alltag aussieht und welche Probleme bewältigt werden müssen, wird von den Fachkräften immer noch zu wenig gesprochen.

Es ist wichtig, dass die Fachkräfte mit Trägern und Eltern ins Gespräch gehen. Sie sollten ihre Kompetenzen und ihre Professionalität herausstellen. Was macht im Kern pädagogische Arbeit aus? Das ist eine Frage, mit der sich alle beschäftigen müssen. Die Kitas können nicht mit weiteren qualitativen Verschlechterungen zurechtkommen. Das System ist bereits überstrapaziert. Dies muss deutlich und hartnäckig mit der Politik diskutiert werden. Herr Fröhlich-Gildhoff steht hinter der Aussage, dass Zeiten gekürzt oder Gruppen geschlossen werden müssen, wenn nicht genug Personal da ist.

Das Gespräch mit Prof. Dr. Fröhlich-Gildhoff hat uns Mut gemacht. Unsere Verbände geben den Fachkräften eine öffentliche Stimme, die zunehmend Gehör findet. Es ist wichtig, dass Praxis und Wissenschaft kindgerechte Rahmenbedingungen einfordern und fachlich darlegen, welche Ressourcen für das Kita-System notwendig sind, damit Kitas den Kindern und ihrem Bildungsauftrag gerecht werden. Den Brandbrief findet Ihr unter folgendem Link: https://www.nifbe.de/images/nifbe/Aktuelles_Global/2022/Das_Kita_System_steht_vor_dem_Kollaps-Appell_der_Wissenschaft-31.8.2022.pdf

Wir freuen uns, dass Herr Fröhlich-Gildhoff weiter mit uns in Kontakt bleiben will und für Fragen und Austausch zur Verfügung steht.

Kitaverbände fordern die Scheindebatten einzustellen (01.11.2022)

Kita- Fachkräfteverbände fordern, Scheindebatten einzustellen und strukturelle Probleme im Kita-System zu beseitigen

Aus Sicht der deutschen Kita-Fachkräfteverbände ist die Debatte um ein Kita-Pflichtjahr für Vorschulkinder eine reine Scheindebatte, denn nahezu jedes Kind hat bereits eine Kita besucht, bevor es in die Schule kommt.

Bei der berechtigten Frage, warum die Leistungen der Grundschüler*innen seit Jahren schwächer werden und auf einem inakzeptablen Niveau liegen, müssen die Kitas mit in den Blick genommen werden. Wissenschaft und Fachpraxis weisen seit Jahren auf die schlechte personelle und oft auch räumliche Ausstattung unserer Kindertageseinrichtungen hin. Förderung, Bildung und bedürfnisorientierte Betreuung sind unter diesen Bedingungen nur eingeschränkt leistbar.

Die ersten Lebensjahre legen den Grundstein der Bildungsbiografie. Wenn KiTa-Kinder mehr verwahrt als gebildet und gefördert werden, gefährdet das die kindliche Entwicklung. Auch am vieldiskutierten Thema der alltagsintegrierten Sprachförderung wird das Dilemma deutlich. Spracherwerb braucht Interaktion. Nur wenn ausreichend Zeit für persönliche Zuwendung und sprachliche Begleitung vorhanden ist, entwickeln sich Aussprache, Wortschatz und Grammatik altersgerecht. Es ist selbst beim Bund unumstritten, dass die Sprachkitas ein voller Erfolg waren. Trotzdem soll das Programm eingestellt werden, anstatt zukünftig allen Kitas zusätzliche Mittel für sprachliche Förderung zur Verfügung zu stellen.

Kinder, die mit sprachlichen, motorischen, sozialen oder emotionalen Defiziten eingeschult werden, haben es nicht leicht, diese Rückstände aufzuholen.

Wir brauchen deshalb kein Kita-Pflichtjahr, sondern eine bessere Kita-Qualität. Die dafür personellen und räumlichen Mindestanforderungen liegen seit Jahren auf den Tischen oder in den Schubladen der Ministerien. Umgesetzt wurden sie bisher in keinem Bundesland.

Unsere Gesellschaft sollte sich intensiv mit der Frage beschäftigen, warum die Leistungen der Grundschüler seit Jahren schlechter werden, obwohl Kita-Kinder immer jünger und die Betreuungszeiten länger werden. Wären unsere Kitas hochwertige Bildungseinrichtungen, müssten wir gegenteilige Effekte sehen.

Wir beim Landtagsfest der Grünen Fraktion BW (25.10.2022)

Ein Bericht von unserem Vorstand- und Gründungsmitglied Bärbel Baumgärtner:

 

Heute durfte ich den Verband beim Landtagsfest der Grünen Fraktion vertreten. Es war ein lockeres Beisammensein im Foyer des Landtags bei gutem Essen und Trinken in gelöster Stimmung und diente dem gegenseitigen Kennenlernen und Austausch. Ich hatte ein längeres Gespräch mit Dorothea Wehinger und einer Vertreterin des Landeselternbeirats und der Vorsitzenden des Landesverbands der Kindertagespflege.

Ich konnte wichtige Anliegen unseres Verbands nennen und stieß auf offene Ohren und großes Interesse. Gleichzeitig war es interessant, die aktuellen Anliegen der beiden anderen Verbände zu hören. Man stellte fest: Eigentlich bräuchte es einen Kita- Gipfel, wo alle Beteiligten ihre Ideen einbringen, wie die Kitas aus der Krise kommen könnten.

Der persönliche Kontakt und die wertschätzende Atmosphäre waren sehr schön zu erleben!