Die Kita-Fachkräfteverbände schreiben an Frau Schwelling (19.09.2022)

In den letzten zwei Jahren haben sich bundesweit 10 Kita-Fachkräfte Verbände gebildet. Gemeinsam haben wir einen Brief an Frau Schwelling, Landesvorsitzende der Grünen verfasst. Es ist uns wichtig, dass wir gemeinsam auf Probleme und Missstände hinweisen.

Hier kannst Du den kompletten Brief lesen:

Sehr geehrte Frau Schwelling,

Sie sprechen öffentlich davon, dass größere Kita-Gruppen kein Weltuntergang seien. Jedes
Kind muss einen Betreuungsplatz erhalten, das sei oberste Priorität. Dafür müssten eben
noch mehr Kinder mit schlechteren Standards betreut werden.

Bitte setzen Sie sich mit dem gesetzlichen Auftrag der Kitas, der als Bundesgesetz
deutschlandweit festgeschrieben wurde, auseinander. Im SGBVIII Abschnitt 3 §§ 22-26 ist
unmissverständlich geregelt, dass das Recht auf Betreuung nicht über dem Recht auf Bildung
und Förderung steht, sondern dass es sich hier um einen Dreiklang handelt. Wer das Thema
Kindeswohl und Kinderrechte ernst nimmt, kann keine Betreuung um jeden Preis fordern.
Ihre Partei verfolgt das Ziel, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Das passt nicht
zu Ihrer Haltung, die Qualität der Bildung und Förderung weiter zu verschlechtern, um alle
Kinder irgendwie unterzubekommen.

Die rote Linie, bei allem, was wir in der Kita tun, verläuft beim Thema Kindeswohl.
Aufsichts- und Fürsorgepflicht haben Kita-Fachkräfte unter allen Umständen zu
gewährleisten. Kindeswohlgefährdungen beginnen nicht erst mit Hämatomen, blutenden
Wunden und körperlicher Verwahrlosung.

Aktuell haben mehr als 150 Wissenschaftler*innen (auch aus Baden- Württemberg), die zum
Who is who der Frühpädagogik und Sozialwissenschaften gehören, einen Brandbrief
unterzeichnet.

Sie zeigen drastisch auf, wie schlecht es um die Betreuungsqualität in den Kitas bestellt ist
und wie wenig kindgerecht die Rahmenbedingungen sind. Sie schlagen außerdem konkrete
Maßnahmen vor, wie in der aktuellen Situation politisch gehandelt werden müsste.
Erhöhung der Gruppenstärken gehört nicht zu den Vorschlägen.

In den letzten beiden Jahren haben sich in 10 Bundesländern Kita-Fachkräfteverbände
gegründet, die 12 Bundesländer vertreten. Die Mitglieder kommen aus der Praxis und
engagieren sich neben ihrer Arbeit in der Kita für kindgerechte Rahmenbedingungen. Dass
verschiedene Bundesländer nun die bereits unzureichende pädagogische Qualität weiter
aufweichen wollen, erfüllt uns mit großer Sorge. Deshalb haben sich unsere Verbände für
einen gemeinsamen Brief an Sie entschieden, den wir auf unseren online-Seiten
veröffentlichen werden. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, wie
weit der reale Kita-Alltag von kindgerechten Bedingungen entfernt ist.

Der Kita-Fachkräfteverband Baden-Württemberg ist gerne bereit, mit Ihnen über den KitaAlltag in den Einrichtungen zu sprechen und kann ihnen Hospitationsmöglichkeiten
vermitteln.

Sie können über folgende Fragen mit Kita-Fachkräften ins Gespräch gehen:

  • Werden Sie im Alltag den grundlegenden Bedürfnissen der Kinder gerecht? (bekommen
    Kinder, die dies brauchen, ausreichend Begleitung oder Assistenz beim Essen, Schlafen
    und Toilettengang, kann jedes Kind nach Bedarf jederzeit gewickelt werden?)
  • Wie beurteilen Sie die räumliche Situation? Wie laut und eng ist es im Alltag? Haben Sie
    genügend Räumlichkeiten, damit es Kindern jederzeit möglich ist, sich zurückziehen, in
    kleinen Gruppen spielen oder sich ausgiebig zu bewegen?
  • Können Sie ihre Aufsichtspflicht in allen Betreuungssituationen gewährleisten?
    Haben Sie ausreichend Zeit, sich einzelnen Kindern zuzuwenden, Streit zu schlichten
    oder Trost zu spenden?
  • Wie oft können Sie Ideen und Fragen der Kinder aufgreifen, um daraus mit ihnen in
    Kleingruppen spannende Projekte zu entwickeln?
  • Bleibt genug Zeit, um Kinder intensiv zu beobachten, Entwicklung zu dokumentieren und
    Entwicklungsgespräche vorzubereiten und durchzuführen?
  • Können Sie Kinder sprachlich intensiv begleiten, besonders Kinder mit nicht-deutschem
    sprachlichem Hintergrund?
  • Werden Sie Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten gerecht und können Ihnen die
    notwendige pädagogische Begleitung geben?
  • Wie gelingt inklusives Arbeiten unter den aktuellen Rahmenbedingungen?
  • Welche Rahmenbedingungen sind für Sie Grundvoraussetzung für einen kindgerechten
    Kita-Alltag?

Diese Fragen sind lediglich als Anregung gedacht und erheben keinen Anspruch auf
Vollständigkeit. Die Kita-Fachkräfteverbände haben Vorschläge und konstruktive Lösungen
erarbeitet, was in der angespannten Situation getan werden kann und welche Maßnahmen
mittel -und langfristig getroffen werden müssen, um unseren Kindern einen kindgerechten
Alltag zu gewährleisten.

Nutzen Sie die Expertise der täglichen Praxis, stellen Sie Fragen und suchen Sie gemeinsam
mit den Kita-Fachkräften nach Antworten und Lösungen!
Kitas sind keine Aufbewahrungslager, in denen lediglich noch ein paar zusätzliche
Regalmeter geschaffen werden müssen, damit alles unter ist. Sobald das körperliche, geistige
und seelische Wohl der Kinder nicht mehr vollumfänglich gewährleistet ist, kann man von
aus pädagogischer Sicht durchaus von einem Weltuntergang sprechen. Die Welt der der
Chancengleichheit, der frühkindlichen Bildung, der Möglichkeiten, sich zu entwickeln und
zu entfalten ist massiv bedroht, wenn Betreuung um jeden Preis zum obersten politischen
Ziel wird.

E I N E K O O P E R A T I O N D E R K I T A – F A C H K R Ä F T E V E R B Ä N D E I N D E U T S C H L A N D
Mit freundlichen Grüßen,
im Auftrag der Kita-Fachkräfteverbände in Deutschland

Hier der Brief zum runterladen:

Brief an Frau Schwelling (Vebände)

 

Antwortschreiben von Frau Schwelling – Landesvorsitzende der Grünen (15.09.2022)

Nach einen Tag haben wir bereits eine Rückantwort erhalten, vielen Dank dafür.
Wir laden Frau Schwelling zu einem Videomeeting ein.
Hier das Antwortschreiben:
Sehr geehrte Frau Braekow,
vielen Dank für das Engagement Ihres Verbandes und Ihre Nachricht, die ich gerne versuche, zu beantworten. Die von Ihnen formulierten Ziele teile ich uneingeschränkt und würde mir von ganzem herzen wünschen, dass wir sie schnellstmöglich erreichen.
Sie sind wütend und ich kann Ihnen nichts anderes sagen als: völlig zu Recht!
Seit Jahren schon wird der Fachkräftemangel in den Careberufen beklagt, ebenso wie die Belastungen, denen die Menschen ausgesetzt sind, die beispielsweise in der Pflege oder der Kinderbetreuung arbeiten. In der Pandemie hat sich die Situation noch zusätzlich verschärft und die bislang darauf gefunden Antworten sind zweifellos nicht ausreichend, das spüren Sie und die Menschen, die Ihr Verband vertritt, jeden Tag.
Nun erleben wir zusätzlich zu Pandemie und Klimakrise mit ihren Auswirkungen auch noch die drastischen Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Noch nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg sind so viele Menschen zu uns geflohen vor Bomben, Tod und Zerstörung. Und diejenigen, die zu uns kommen sind meist Frauen, alte Menschen und zu mehr als einem Drittel auch Kinder und Jugendliche. Wir wollen sie selbstverständlich bestmöglich bei uns aufnehmen und wissen, dass ein Platz in Kita oder Schulen für eine gelungene Integration unverzichtbar ist.
Diese Situation trifft uns gleichzeitig mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf Betreuung in den Grundschulen, der nun schrittweise kommt und der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder der Kindertagespflege für Kinder ab dem ersten Lebensjahr besteht ebenfalls.
Dies stellt die Kommunen und anderen Träger vor enorme Herausforderungen, denn in Baden-Württemberg fehlen uns die notwendigen Fachkräfte, um all diese Ansprüche zu erfüllen und allen Kindern einen Betreuungsplatz anzubieten.
Es braucht daher ein Bündel an Maßnahmen, um den Familien, den Erzieher*innen und auch den Kommunen gerecht zu werden und ja, dazu zählt kurzfristig auch die zeitlich befristete Abweichung vom Mindestpersonalschlüssel und der Höchstgruppenstärke, die die Landesregierung jetzt wieder einführen wird.
Wir müssen kurzfristig pragamatische Lösungen finden als Politik, das ist unser Job und ich weiß sehrwohl, dass das Ihren Job schwerer macht und dafür kann ich mir nur bei Ihnen entschuldigen.
Wir geben den Kommunen und Träger der Kindertageseinrichtungen mit der neuen Regelung ein Instrument an die Hand, um flexibel auf die vor Ort sehr unterschiedlichen Bedarfe und Möglichkeiten einzugehen und Eltern im Einzelfall einen dringend benötigen Betreuungsplatz anzubieten. Als Kommunalpolitikerin kann ich Ihnen versprechen, dass wir dabei einrichtungsindividuell die personellen und räumlichen Ressourcen berücksichtigen, denn wir wollen selbstverständlich das Beste für die Kinder ebenso wie für die Erzieherinnen und Erzieher.
Weitere Maßnahmen, die wir in dieser schwierigen Situation ebenfalls in Erwägung ziehen sollten betreffen die Nutzung zusätzlicher Räumlichkeiten und vor allem der Gewinnung von mehr Personal, bspw. über Direkteinstiegsprogramme oder die Entlastung der pädagogischen Fachkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben, wie beispielsweise administrativen oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten.
Wir werden alle Register ziehen müssen, um die Krisen zu bewältigen, die wir derzeit erleben und das bedeutet eben auch, dass wir alle Abstriche werden machen müssen von dem, was eigentlich richtig wäre. Anders lässt sich aus meiner Sicht kurzfristig keine Lösung finden für eine Situation in der zu viele anspruchsberechtigte Kinder auf zu wenig Betreuungsplätze treffen.
Ihre berechtigte Wut und Enttäuschung kann ich damit sicher nicht lindern und es tut mir wirklich leid, dass der Beruf, den Sie aus Leidenschaft und Begeisterung ergriffen haben, Ihnen im Moment so schwer gemacht wird. Ich kann mich dafür nur im Namen der Politik, die hier viel versäumt hat, bei Ihnen entschuldigen.
Ihr Angebot, mir selbst ein Bild der Situation zu machen und mit Ihnen zu sprechen, nehme ich gerne an und freue mich, wenn Sie sich bei mir melden, damit wir die Details klären können.
Ich wünsche Ihnen und Ihrem Verband trotz aller Herausforderungen und Schwierigkeiten von ganzem Herzen das Beste und werde tun, was in meiner Macht steht, um mittel- und langfristig eine andere Lösung zu finden.
Mit den besten Grüßen
Lena Schwelling

Offener Brief an Frau Schwelling – Landesvorsitzende der Grünen Fraktion (14.09.2022)

Am 12.09.2022 wurde folgende Pressemeldung veröffentlicht:

https://www.landtag-bw.de/home/aktuelles/dpa-nachrichten/2022/September/KW37/Montag/621837c3-fcde-4d9f-8b61-3d3e8057.html

Im Verlauf äußerte sich Frau Schwelling:

Selbstverständlich können wir diese Aussage nicht so stehen lassen und so haben wir uns mit einem Brief an sie gewandt:

Sehr geehrte Frau Schwelling,

Wir verstehen, dass Sie in der aktuellen angespannten Situation reagieren müssen.

In diesem Zusammenhang möchten wir uns zunächst bei Ihnen vorstellen:

Seit unserer Gründung im Januar 2021 sind wir ein stetig wachsender und aktiver Verband.

Gemeinsam mit Eltern, Trägern und Interessierten machen wir uns auf den Weg um die Bedingungen in den Kitas in Baden-Württemberg bedeutend zu verbessern. Wir wollen, dass Kitas zu einem Ort werden, an dem Kinder, Eltern und Pädagogen gemeinsam wachsen, leben und sich weiterentwickeln können – denn „wir stehen für Veränderung!“.

Wir verfolgen kontinuierlich unsere Ziele:

1. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen

2. Die Anpassung an einen zeitgemäßen Personalschlüssel

3. Eine einheitliche und praxisnahe Ausbildung

4. Die verpflichtende Zusammenarbeit zwischen Träger, Leitung, Team und
Eltern.

Seit Beginn der Pandemie arbeiten wir in den Kitas mit einem abgesenkten Personalschlüssel, was uns vor große Herausforderungen und Hürden gestellt hat. Ein Lichtblick war, dass diese coronabedingte Ausnahme seit Ende August dieses Jahres abgesetzt wurde. Als Ersatz für diese Vorgehensweise wurde im Juli 2022 vom Kultusministerium ein Maßnahmenkatalog an jede Kita versendet. Dieser beinhaltet die Möglichkeit anstelle einer zweiten pädagogischen Fachkraft auch zwei Nicht-Fachkräfte einzustellen.

In unserer Pressemitteilung vom 28.07.2022 haben wir bereits auf das Maßnahmenpaket reagiert, Sie können unsere Stellungnahme gerne nachlesen unter:

Stellungnahme zum Maßnahmenpaket zum neuen Kitajahr (30.07.2022)

Laut der aktuellen Bertelsmannstudie 2022 gibt es in keinem unserer Bundesländer einen kindgerechten Personalschlüssel. Ganz im Gegenteil, in Baden- Württemberg sind 48,4% der Kitakinder nicht kindgerecht betreut. Im gesetzlichen Auftrag der Kitas SGB VIII Abschnitt 3§ 22-26 rangiert Bildung, Förderung und Betreuung gleichrangig. Ihre Aussage: “Gut dann kommen eben ein paar mehr Kinder in die Gruppe” steht im kompletten Gegenteil zu unserem Schutzauftrag. Es darf niemals das Kindeswohl wegen Aufsichtspflichtverletzung durch zu große Gruppen aufs Spiel gesetzt werden. Und jedes Kind mehr kann ein Kind zu viel sein um diese zu gewährleisten.

Als Berufsverband sind wir permanent dabei, auf die Probleme und Themen die Kita betreffend aufmerksam zu machen und mit Beteiligten aus der Politik an positiven Veränderungen zu arbeiten. Hiermit laden wir Sie ein, sich ein vollumfängliches Bild über den Alltag einer Kita zu machen. Wir stehen Ihnen für ein Gespräch, sei es online oder persönlich sehr gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen