PM zur aktuellen Bertelsmannstudie (30.11.2023)

„Es muss gehandelt werden – jetzt!“ reagiert Anja Braekow als 1. Vorsitzende des Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg auf den neuen „Ländermonitor der frühkindlichen Bildungssysteme“ der Bertelsmannstiftung. „Wir weisen seit langem auf die verheerenden Zustände in unseren Kitas hin. Und wir tun dies gerade, weil wir unseren Beruf lieben und ihn noch lange ausüben möchten – doch so wie jetzt kann es nicht weitergehen“, führt Braekow aus. Wie mittlerweile viele Bündnisse und Institutionen fordert auch der Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg, dass frühkindliche Bildung endlich Chefsachen werden muss, derer sich unser Bundeskanzler annimmt und entsprechend Gelder fließen, um das marode System zu erneuern.
„Die Fachkräfte in den Kitas hierzulande kämpfen mit widrigen Arbeits- und Rahmenbedingungen, veralteten oder nicht kindgerechten Räumen und als würde das nicht ausreichen kommt nun noch die Verunsicherung durch den Erprobungsparagrafen hinzu“, erläutert Braekow die aktuelle Situation in Baden-Württemberg.
„Im Bundesländervergleich steht Baden-Württemberg aktuell noch etwas besser da als andere, was pädagogische Fachkräfte anbelangt“, führt Braekow aus, „aber auch wir sind seit Jahren in der Abwärtsspirale“. „Fast überall fehlen Kita Plätze, das Personal wandert zusehends ab, weil es nur noch um Betreuung statt frühkindlicher Bildung geht, und dazwischen stehen verzweifelte Eltern, die nicht mehr weiterwissen. Das ist gelebte Realität in Baden-Württemberg. Denn was die Zahlen nicht zeigen, sind Krankheitsausfälle, Urlaubsabwesenheiten, kurzfristige Kündigungen, Fehltage wegen notwendiger Weiterbildungen, Zeiten, in denen pädagogische Fachkräfte kehren und putzen müssen, Dokumentationsarbeiten und vieles mehr. Um ein realistisches Bild zu erhalten, müssten diese Zeiten bei den statistischen Erhebungen abgezogen werden“, schildert Braekow die Situation. Leider spiegeln die Zahlen der Bertelsmannstudie nicht die Realität der Kinder wider und auch nicht den Arbeitsalltag mit all seinen Schwierigkeiten für die Fachkräfte. Sie sagen nichts aus über die Anforderungen der modernen Welt vonseiten der Familien, Gesellschaft und Wirtschaft. Sie zeigen nicht die unterschiedlichen Förderbedarfe jedes Kindes, nicht die Rechte der Kinder und auch nicht welche eventuellen Folgen für die Entwicklung der Kinder unter den momentanen Zuständen wie Stress, Lärm und Zeitdruck. Unter Berücksichtigung all der genannten Gründe, davon zu sprechen, wie gut Baden-Württemberg im deutschlandweiten Vergleich dasteht, ist Augenwischerei und Verharmlosung. Der Fachkräfteradar macht außerdem deutlich, dass sich auch in naher Zukunft an der momentanen Situation nichts ändern wird. Zwar haben sich beispielsweise die Zahlen der Auszubildenden erhöht, von diesen brechen aber viele aus Überforderung und anderer Vorstellungen die Ausbildung wieder ab oder verlassen spätestens fünf Jahre nach der Ausbildung das Arbeitsfeld Kita. „Hinzu kommt, dass uns Fachschulen bekannt sind, die nicht alle Ausbildungsformen anbieten beziehungsweise anbieten können, unter anderem, weil entsprechende Lehrkräfte fehlen“, führt Braekow an. „Egal ob Auszubildende, Quereinsteiger, Wiedereinsteiger oder einfach nur neu Angestellte, sie alle brauchen Einarbeitungszeit, Praxisbegleitung und somit zeitliche Ressourcen. Nur leider kann dies nur gewährleistet werden, wenn entsprechend viel Personal und Zeit zur Verfügung stehen“, erklärt sie die Lage in der Praxis.
„Baden-Württemberg kann den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nach wie vor nicht bedarfsgerecht erfüllen. Die Kinder bekommen keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung, während die Eltern Familie und Beruf schwieriger vereinbaren können“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung. Wir teilen diese Aussagen vollumfänglich und werden nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen. Um die Situation zu entspannen, braucht es Sofortmaßnahmen, um die pädagogischen Fachkräfte zu entlasten, damit Bildungsarbeit möglich ist. „Wir fordern schon lange Hauswirtschaftskräfte sowie Verwaltungskräfte für alle Kitas und zusätzliches Personal zur Unterstützung im Alltag. Wenn man es geschickt anstellt, bekommt man über diesen Weg auch neue Fachkräfte, denn man kann als Quereinsteiger hineinwachsen und muss nicht gleich eine Fachkraft ersetzen. Und auf der anderen Seite hält man die pädagogischen Fachkräfte im Arbeitsfeld, da die Arbeit endlich wieder Freude macht, wenn man eben nicht alles selbst dokumentieren muss, mehr Zeit mit der Wäsche als der Vorbereitung pädagogischer Angebote verbringt oder man weiß, dass man einem zurückhaltenden Kind eine Zusatzkraft an die Seite stellen kann, welche es im Alltag begleitet und somit eben die stillen Kinder nicht immer untergehen“, stellt Braekow fest.
Wenn die Bildung und Betreuung der Kinder nach wie vor nur auf den Schultern der Kitas lastet und die Verantwortungsträger jede Verantwortung von sich weisen, fällt das System zusammen. Im Hinblick auf den anstehenden Rechtsanspruch für Ganztagsbetreuung an Schulen, dem angestrebten Ausbau an Krippenplätzen und den fehlenden Kita-Plätzen wird es höchste Zeit, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und gemeinsam langfristige Lösungen finden, welche gut umsetzbar sind, das Beste für unsere Kinder bedeuten und die Rahmen- und Arbeitsbedingungen deutlich verbessern. Dies wird nicht von heute auf morgen geschehen, aber es muss endlich gehandelt werden, bevor es viel zu spät ist. Die Qualität, frühkindliche Bildung und Chancengerechtigkeit müssen in den Blick genommen werden. Eltern und Arbeitgeber brauchen endlich wieder Planbarkeit und Rückhalt, hierfür müssen alle zusammenwirken, auch oder gerade auch auf Bundesebene mit Bildungsstandards und finanzieller Unterstützung, und zwar auf Dauer. Es muss mehr in frühkindliche Bildung investiert werden, damit Deutschland endlich wieder im internationalen Vergleich mithalten kann. Unser größtes Kapital sind unsere Kinder. Wir müssen sie für die Welt von morgen befähigen, hierfür braucht es personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen. Eine davon steckt in den pädagogischen Fachkräften, die wir gewinnen und halten müssen über bessere Bezahlung, Entlastung von administrativen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten, bessere Fachkraft-Kind-Relation, Reduzierung von Stressoren wie Lärm und vielem mehr.
„Die Kinder unseres Landes verdienen mehr als nur Betreuung und Verwahrung. Sie sind die Entscheider von morgen und darauf müssen sie gut vorbereitet werden. Das gelingt nur durch qualitative, ausreichende, kindgerechte und liebevolle frühkindliche Bildung. Wir appellieren wiederholt an das Gewissen und die Vernunft aller Beteiligten und fordern eine bessere Zukunft für uns alle“, fordert Braekow zum Umdenken auf.
Veröffentlicht in Aktuelles.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert