Sehr geehrter Herr Schebesta,
der Beitrag in SWR Aktuell vom 17.02.2023 über die Zunahme der Gerichtsverfahren wegen des Rechtsanspruchs auf einen Kita Platz in Baden-Württemberg veranlasst uns dazu, Ihnen diesen Brief zu schreiben.
Wir als Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass die Lage in den Kindertagesstätten im Land besorgniserregend ist. Die Diskrepanz zwischen dem gesetzlichen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. Lebensjahr und der Realität, ist groß und folge dessen in den letzten Monaten immer weiter ins Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt. Es ist gut, dass die Problematik diskutiert wird.
Sie haben im SWR Gespräch angemerkt, dass Ihnen diese Problematik bewusst ist, und dass dringend Handlungsbedarf besteht. Die „Reihe von Maßnahmen“, die das Kultusministerium ergriffen hat, „um das Problem in den Griff zu bekommen“, wie Sie dem SWR mitteilten, sind ein erster Schritt.
Jedoch reicht die Werbekampagne „Mehr bekommst du nirgendwo“ und der „Pakt für gute Bildung und Betreuung“ unserer Meinung nach nicht aus. Was fehlt, ist ein grundlegender Maßnahmenkatalog, der ernsthaft die Rahmenbedingungen verändert, um Lösungen zu finden, die nicht in einer Vielzahl von Maßnahmen verpuffen. Die Bezahlung allein ist nicht der Grund dafür, dass der Beruf an Attraktivität verloren hat.
Sie sehen die Wichtigkeit der Balance zwischen der Belastung der Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und dem Betreuungsbedarf der Eltern. Dies ist unserer Meinung nach ein wertvoller Gedankengang für eine beginnende Veränderung der Kitalandschaft.
Nun müssen den Worten Taten folgen, zum Beispiel in Form von Entlastungsmaßnahmen für das vorhandene pädagogische Personal, durch Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte oder auch durch ein Finanzierungsprogramm für notwendige Sanierungsarbeiten gerade im Bereich Lärmschutz. Gerne schildern wir in einem persönlichen Gespräch die Hürden und Bedürfnisse, die unsere Mitglieder tagtäglich an uns herantragen, und die sie zu den Überlegungen führen, dem Arbeitsplatz Kita den Rücken zu kehren.
Ein schnelles Quereinsteigerprogramm oder die Vergrößerung der Gruppenstärke wird weder den Betreuungsbedarf der Eltern auffangen können, noch zu attraktiveren Arbeitsplätzen führen. Bei allen Quereinsteiger- und Nachqualifizierungsmaßnahmen muss der Fokus auf die individuelle Eignung und eine qualitativ hochwertige fachliche Schulung gelegt werden. Zudem muss geschaut werden, welche pädagogischen Fachkräfte wieder für diesen Bereich gewonnen werden können, zum Beispiel nach der Elternzeit oder einem Wechsel in andere Arbeitsbereiche.
Mit Sorge nehmen wir die aktuellen Maßnahmen zum Kita-Platzausbau wahr und beobachten immer öfters Überlegungen der Kommunen und des Lands, Quantität über Qualität zu stellen. Ein Entweder / Oder widerspricht aber klar dem gesetzlichen Auftrag aus VIII Sozialgesetzbuch, dem KiTAG und nicht zuletzt dem Orientierungsplan.
Der Rechtsanspruch darf nicht über dem Kindeswohl stehen. Quantität in der jetzigen Lage geht eng einher mit der Tatsache, dass die Umsetzung von Gewaltschutzkonzepten und die Wahrung der Aufsichtspflicht nicht mehr gewährleistet werden können. Diese Situation spitzt sich immer weiter zu und für zur weiteren Fluktuation des Personals da wir im Bereich der Kitas auf einen eh schon sehr angespannten Arbeitsmarkt treffen.
Um aus diesem Dilemma herauszukommen und langfristig ein tragfähiges Konzept werden zu lassen, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Dazu gehören neben den Kommunen auch die Landesregierung und die Fachkräfte an der Basis aus den Kitas.
Die Not berufstätiger Eltern und der Druck der Arbeitgeber aus allen Bereichen der Wirtschaft ist groß. Fehlende Fachkräfte, die ihre Kinder zuhause betreuen müssen, sind Teil einer Spirale, die jetzt durchbrochen werden muss. Wenn die Qualität der frühkindlichen Bildung zugunsten einer Betreuung um jeden Preis an Bedeutung verliert, entsteht ein weiteres Problem. Zusätzlich zu den Familien die keinen Kitaplatz haben, kommen die Eltern, die sich mit sinkender Qualität in der frühkindlichen Bildung nicht abfinden wollen, und daher ihre Kinder selber zuhause betreuen. Diese Fachkräfte fehlen dann wieder an anderer Stelle auf dem Arbeitsmarkt.
Es muss einerseits über bessere Rahmenbedingungen gesprochen werden, andererseits aber auch über neue Arbeitszeitmodelle, familienfreundliche Unternehmenskultur, mögliche veränderte Formen der Kinderbetreuung und der Finanzierung all dieser und weiterer Maßnahmen. Entlastungsmaßnahmen für das vorhandene pädagogische Personal durch Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte, und ein Programm für notwendige Sanierungsarbeiten im Bereich Lärmschutz seien hier stellvertretend für verbesserte Arbeitsbedingungen in den Kindertagesstätten genannt. Gerne schildern wir Ihnen bei unserem Gespräch am 13.03.2023 die Hürden und Bedürfnisse, die unsere Mitglieder tagtäglich an uns herantragen, und die einige von ihnen zu den Überlegungen führen, dem Arbeitsplatz Kita den Rücken zu kehren.
Wir müssen an den Punkt kommen, dass Kitas in den Kommunen nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden, sondern als Zukunftspotenzial. Denn wenn in Kitas qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung stattfinden kann, so wie es der Orientierungsplan vorsieht und es die pädagogischen Fachkräfte leisten könnten, werden Kommunen heute schon attraktiv für junge Familien die sich dort niederlassen, arbeiten, Steuern zahlen und so weiter. Auch die soziale Kluft wird geringer, es gibt weniger Schulabbrecher und dem Arbeitsmarkt von morgen stehen resiliente und lernfähige junge Menschen zur Verfügung.
Gerne möchten wir als Berufsverband mit Ihnen zu diesen wichtigen und zukunftsweisenden Themen ins Gespräch kommen und bieten Ihnen hiermit sehr gerne unsere Mitarbeit in diversen Gremien an, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ein erster Schritt wäre eine ehrliche Ist-Stand Erhebung bei der wir selbstverständlich unsere Praxisexpertise einbringen würden.
Zudem fordern wir mit unseren Schwesternverbänden aus ganz Deutschland einen „Kita-Gipfel“, der sich bundesweit damit beschäftigt, wie Lösungen aussehen können. Denn allen ist klar, dass weder Land noch Kommunen oder Träger die dringen notwendigen Veränderungen alleine stemmen können. Der Dreiklang aus Bildung, Erziehung und Betreuung kann funktionieren, und wir sind gerne bereit, unseren fachlichen Beitrag dazu zu leisten.
Wir freuen uns auf unser kommendes Gespräch und die Möglichkeit zukünftig aktiv auf Landesebene Mitzuarbeiten.
Edit: Wir haben Antwort bekommen und um am 13-03-2023 mit Herrn Schebesta per Videokonferenz getroffen. Wir haben viele Informationen bekommen und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.