Sehr geehrter Herr Lachat,
sehr geehrter Herr Broß,
in den letzten drei Jahren ist die pädagogische Arbeit in den Kitas zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Dies ist sicherlich auch der aktuellen Lage um den Fachkräftemangel geschuldet. Als Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg verfolgen wir die aktuellen Entwicklungen und bringen kontinuierlich unsere Praxisexpertise ein.
In diesem Zusammenhang wenden wir uns heute zum Thema „Zukunftsparagraf“ an Sie.
Grundsätzlich begrüßen wir den Vorstoß des Städtetages, den Kommunen mehr Gestaltungsspielraum beim Einsatz von Personal in den Kitas einzuräumen. Wir als Berufsverband sind ebenfalls der Meinung, dass es Zeit ist, neue Wege zu gehen, Lösungsansätze zu suchen und die Situation vor Ort in den Kindertageseinrichtungen grundlegend zu verbessern.
Multiprofessionelle Teams sind ein Ansatz, der in die richtige Richtung gehen kann. Jedoch kann die Lösung für dieses bundesweite Problem nicht sein, auf unqualifiziertes fachfremdes Personal zu setzen und dieses auf den zu knapp bemessenen und nicht mehr zeitgemäßen Personalschlüssel anzurechnen. Eine Fachkraft pro Einrichtung ist nicht nur ungenügend, sondern grob fahrlässig. Auch die Erhöhung der Kinderanzahl pro Gruppe oder eine Randzeitenbetreuung durch Nicht-Fachkräfte können nicht die Patentlösungen sein.
Laut Ihnen, Herr Lachat, steht „das Wohl, der Schutz und die Sicherheit der Kinder (…) weiterhin ganz oben, hier wird es keinerlei Abstriche geben“. In oben genanntem Kontext ist dies definitiv nicht mehr zu leisten. Dieser Vorschlag führt unserer Meinung nach zu noch mehr Kündigungen durch das bestehende pädagogische Fachpersonal. Zum einen, weil die Fachkräfte sich in ihrer Professionalität abgewertet fühlen und zum anderen, weil sie befürchten, zusätzliche Arbeit im Bereich Bildung und Erziehung zu bekommen, wenn sie unqualifiziertes Personal anlernen und im Alltag begleiten müssen. Eine Nachqualifizierung mit „Schulungen“ ersetzt in keiner Weise hoch professionell ausgebildetes pädagogisches Fachpersonal.
Mit Sorge nehmen wir wahr, dass die Umsetzung des Baden-Württembergischen Orientierungsplans durch den Zukunftsparagrafen flexibel gehandhabt werden soll. Nicht nur, dass in die Überarbeitung und Anpassung sehr viel Geld investiert wurde. Der Orientierungsplan sichert auch die Qualität im Bereich Bildung und Erziehung und ist unsere Arbeitsgrundlage. Wenn hier Abstriche gemacht werden, bricht ein wichtiger Teil des gesetzlichen Auftrags weg, nämlich einen Dreiklang aus Bildung, Erziehung und Betreuung zu schaffen – eine Schieflage hin zu Betreuung um jeden Preis lehnen wir im Hinblick auf die Wichtigkeit frühkindlicher Bildung ab. Zudem sind der Bildungsauftrag und die Möglichkeit, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, ein wichtiger Grund, weshalb Menschen einen pädagogischen Beruf ergreifen. Wenn diese Arbeit, egal aus welchen Gründen, nicht mehr geleistet werden kann, steigt die Personalfluktuation.
Um den Kindern den bestmöglichen Start zu ermöglichen, reicht es nicht aus, das kleinere Übel zu wählen und Kitas mit einer Experimentierklausel zu Experimentierstätten zu machen. Wenn für Sie tatsächlich immer das Kindeswohl und frühkindliche Bildung an erster Stelle steht, ist es an der Zeit, die Situation zu entlasten, statt zu verschärfen. Dies wiederum würde mehr pädagogische Fachkräfte sowie zusätzliches Personal bedeuten, statt Personal zu ersetzen.
Wir brauchen Lösungen, um das bestehende Personal zu halten, und den Beruf durch verbesserte Rahmenbedingungen wieder attraktiv zu machen.
Dies kann unserer Meinung nach am besten durch einen echten Dialog gelingen.
Gerne möchten wir als Berufsverband mit Ihnen allen gemeinsam zu diesen wichtigen und zukunftsweisenden Themen ins Gespräch kommen. Wir bieten Ihnen hiermit sehr gerne unsere Mitarbeit an, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ein erster Schritt wäre eine ehrliche Ist-Stand-Erhebung, bei der wir selbstverständlich unsere Praxisexpertise einbringen würden.
Zudem fordern wir mit unseren Schwesternverbänden aus ganz Deutschland einen „Kita-Gipfel“, der sich bundesweit damit beschäftigt, wie Lösungen aussehen können. Denn allen ist klar, dass weder Land noch Kommunen oder Träger die dringend notwendigen Veränderungen alleine stemmen können. Der Dreiklang aus Bildung, Erziehung und Betreuung kann funktionieren und wir sind gerne bereit, unseren fachlichen Beitrag dazu zu leisten.
Mit freundlichen Grüßen
Anja Braekow
1. Vorsitzende