Stellungnahme zur Betreuung geflüchteter Kinder aus der Ukraine

Als Verband Kitafachkräfte Baden-Württemberg beobachten wir mit Sorge die Entwicklungen in der Ukraine und möchten uns mit unserem Fachwissen und unserer Expertise in die Diskussion um die Unterbringung und Betreuung der geflüchteten Kinder im kitafähigen Alter einbringen. Wir haben gemeinsam mit unseren Mitgliedern folgende Anregungen und Forderungen verfasst:

  1. Alternativen außerhalb der Kitas müssen gesucht werden und sind vorerst zu bevorzugen. Beispielsweise können Spielgruppen, Eltern-Kind-Gruppen, Stadtteiltreffs und Familienzentren von Sozialpädagogen, Traumapädagogen, Ehrenamtlichen begleitete Angebote ins Leben rufen. Dies sollte Informationsangebote vom Gesundheitsamt und Kinderärzten beinhalten.
  2. Ortsansässige Familien dürfen nicht benachteiligt werden, Kinder auf der Warteliste sind zu berücksichtigen. Vorläufig sollten für Kinder aus der Ukraine alternative Angebote geprüft und offeriert werden.
  3. Wenn aufgrund freier Plätze Aufnahmen in die Kitas erfolgen können, sollten die Kinder durch eine Integrationskraft (schnell und unbürokratisch genehmigt) begleitet werden. Aufgrund des erhöhten Betreuungsbedarfs durch Fluchterfahrungen und Fremdsprachigkeit muss ein Kind zwei Plätze belegen und somit doppelt gezählt werden.
  4. Zur bedarfsgerechten Betreuung braucht es Alltagsbegleiter/Integrationskräfte, Traumapädagogen (unkomplizierte Weiterbildung der Fachkräfte), Ergotherapeuten und zusätzliches, auf die Bedürfnisse der Kinder und Kita abgestimmtes Personal (z.B. ukrainisch sprechende Zusatzkräfte).
  5. Zur Kommunikation mit anderssprachigen Familien sind Dolmetscher oder hochwertige Übersetzungsapps sowie Kulturvermittler (z.B. Elternmentoren) notwendig.
  6. Sprachförderung muss bedarfsorientiert angeboten werden können. Hierfür müssen entsprechend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um schnell und unbürokratisch passgenaue Sprachfördermodelle zu initiieren.
  7. Den pädagogischen Fachkräften und Alltagsbegleitern muss zusätzliche Zeit zur Verfügung gestellt werden, um kollegiale Beratung, Austausch über Förderpläne und Supervisionen zu ermöglichen.
  8. Qualitätsstandards dürfen nicht gesenkt werden, die Rahmenbedingungen dürfen nicht flexibilisiert werden.

Durch den Krieg in der Ukraine gelangen zahlreiche flüchtende Menschen, insbesondere Frauen mit ihren Kindern, nach Deutschland. Die Situation stellt sich vor Ort sehr unterschiedlich dar. In einigen Kommunen werden einzelne Kinder bereits in Kindertageseinrichtungen aufgenommen, soweit Plätze vorhanden sind. Sofern ukrainische Kinder die Möglichkeit haben, eine Kita zu besuchen, muss dies unter Beachtung der Punkte 3. bis 8. geschehen.

Daneben bringen wir formale und inhaltliche Fragen zur Klärung ein: z.B. Unterstützung für sprachliche Verständigung und im Umgang mit traumatisierenden Erfahrungen; Schutzmaßnahmen mit Blick auf Corona und Impfangebote für den Masernschutz.

Aus unserer Sicht ist jedoch eine Aufnahme dieser Kinder in das Regelsystem der Kindertageseinrichtungen zum aktuellen Zeitpunkt aus unterschiedlichen Gründen problematisch. Vielerorts kann durch den Fachkräftemangel keine feste Bezugsperson angeboten werden, Gruppengrößen und das Betreuungsangebot müssen angepasst werden.   Neben der bereits bestehenden Überlastung der Kindertageseinrichtungen und der Trägerorganisationen gibt es große Herausforderungen im Blick auf die sprachlichen Hürden und aufgrund der Flucht- und Trennungserfahrungen. Kinder mit Fluchterfahrungen benötigen besondere Begleitung im Kita-Alltag, um den psychischen Belastungen, welche diese Kinder mit sich tragen, gerecht zu werden. Hier muss auf zusätzliches Personal gesetzt werden sowie auf pädagogische Fachkräfte, welche Zusatzqualifikationen wie z.B. als Traumapädagogen haben.

Wir stimmen dafür, zunächst Möglichkeiten und Rahmenbedingungen für Modelle zu klären, die außerhalb von Kindertageseinrichtungen und den Vorgaben der Betriebserlaubnis liegen.

So ist an betreute Spielgruppen und Eltern-Kind-Gruppen – etwa in Räumen von Kirchengemeinden, Kommunen oder Kitas, deren Räume beispielsweise Nachmittags frei sind – gedacht, die auch durch ehrenamtliche oder projektbezogene Begleitung betreut werden könnten und die Situation des Ankommens erleichtern. Für uns ist es wichtig, zunächst den Familien bzw.  Müttern und Kindern gemeinsame Angebote zu bieten, die durch Sozialarbeiter, Psychologen, Kinderärzten, pädagogische Fachkräfte und Traumapädagogen begleitet werden. Es muss evaluiert werden, welcher Bedarf tatsächlich besteht. Nach einer Ankommenszeit kann entschieden werden, ob die Kinder in die Kitas sollen. Nach den traumatischen Fluchterfahrungen ist nicht immer eine Trennung gewünscht und sinnvoll. Die intensive Verbindung innerhalb der Familie darf nicht unterschätzt werden. Viele der Geflüchteten möchten nur vorübergehend in Deutschland bleiben. Da ist der Schritt, das Kind in einer Kita anzumelden ein zu endgültiger. Im Vergleich zu vielen Flüchtlingen beispielsweise aus Syrien, die für sich ein Leben in Deutschland als Zukunftsperspektive sehen, möchten die Menschen aus der Ukraine baldmöglichst in ihre Heimat zurückkehren.

Zusammengefasst halten wir es nicht für sinnführend, in die aktuell schon überfüllten und überlasteten Systeme traumatisierte Kinder zu bringen. Nahezu niemand spricht die Heimatsprache der Kinder und Familien und die Umgebung ist laut und unübersichtlich. Die unter 3. – 8. angeführten Rahmenbedingungen müssen bei allen Kindern und Familien mit Fluchterfahrung greifen. Das System Kita sollte erst dann ins Auge gefasst werden, wenn die oben genannten Forderungen erfüllt sind.

 

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