Pressemitteilung der Verbände 10 Jahre Rechtsanspruch – Kein Grund zu feiern (25.07.2023)

10 Jahre Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung – kein Grund zum Feiern!
Vor 10 Jahren trat auf Bundesebene der Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kita oder Kindertagespflege in Kraft. Seit August 2013 hat jedes Kind ab einem Jahr ein Recht auf Betreuung, frühkindliche Bildung und individuelle Förderung. Es war allen Beteiligten klar, dass die Umsetzung dieses Rechtsanspruches große Anstrengungen und erhebliche finanzielle Mittel benötigen würde, um unsere Kitas quantitativ und qualitativ adäquat auszubauen.
Die Kita-Fachkräfteverbände fordern Bund, Länder und Kommunen auf, endlich deutschlandweit eine Kita-Qualität nach wissenschaftlichen Mindestanforderungen gesetzlich festzuschreiben und zu finanzieren. Für jedes Kind, egal in welchem Bundesland es lebt, muss eine kindgerechte Bildungs- und Betreuungsqualität gewährleistet werden.
Bereits 2013 bestanden Zweifel an der Umsetzbarkeit, wie folgende Zitate zeigen:
GEW 2013: https://www.gew.de/presse/pressemitteilungen/detailseite/gew-klasse-statt-masse „…wurde versäumt, rechtzeitig mit dem Ausbau und vor allem mit der Ausbildung des zusätzlich benötigten Fachpersonals zu beginnen“, stellte Norbert Hocke, für Jugendhilfe verantwortliches GEW-Vorstandsmitglied, fest. „In der Eile, in der in den vergangenen Monaten auf den letzten Drücker Einrichtungen gebaut und eröffnet wurden, ist viel zu wenig auf pädagogische Qualität geachtet worden. Um zu vermeiden, dass Eltern einen Platz vor Gericht einklagen, schafft man Masse statt Klasse.“
„… Ob im August 2013 tatsächlich alle Bedarfe gedeckt werden können, bleibt abzuwarten. Aus dem Blick gerät allerdings zuweilen, dass die Herausforderungen in den nächsten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen bleiben werden – ausgehend von den Teilhabequoten der unter Dreijährigen in den ostdeutschen Bundesländern erscheint es plausibel, dass der Bedarf auch in den westdeutschen Bundesländern in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Neben den damit verbundenen finanziellen Anforderungen stellt sich insbesondere die Frage, ob genügend pädagogisches Personal vorhanden ist, das zudem über die erforderlichen Qualifikationsprofile verfügt. Zu wenig steht explizit die Qualität der Bildungs- und Betreuungsformen auf der politischen Agenda, d. h., wie frühkindliche Bildungssysteme ausgestaltet werden müssen, um allen Kindern förderliche Bildungs- und Entwicklungsbedingungen in den KiTas bieten zu können.“ (Bertelsmann Ländermonitor 2013 S.5).“
Beide Statements könnte man genauso aktuell im Jahre 2023 abdrucken. Die damaligen Befürchtungen waren berechtigt. Bund, Länder und Kommunen haben nicht die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt, und es mangelt nach 10 Jahren weiterhin an Kita-Plätzen, Fachkräften und kindgerechten Rahmenbedingungen. Die Parameter für eine gute Kita-Qualität sind unstrittig. Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein großes Umsetzungsproblem.
Solange im föderalen System die finanzielle Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Kommunen hin und her geschoben wird, wird die Kita-Krise auch in den kommenden 10 Jahren nicht gelöst werden.
Kitas sind in einer modernen Gesellschaft mit einem gleichberechtigten Berufsleben beider Elternteile systemrelevant. Das Wirtschaftsland Deutschland ist auf eine funktionierende Kita-Betreuung sowie gute frühkindliche Bildung mehr denn je angewiesen. Viele Kita-Kinder verbringen unter der Woche mehr Zeit in der Kita als zuhause. Wenn Kitas zu Verwahranstalten verkommen, verschenken wir unglaublich viel Talente und Potentiale. Wir brauchen auch in Zukunft gut gebildete, belastbare junge Menschen, welche die Herausforderungen der Zukunft meistern können.
Kinder sind auf entwicklungsförderliche Bedingungen in ihren Einrichtungen angewiesen. Die Mindestanforderungen an eine gute pädagogische Qualität wurden vor Jahren definiert und sind in Wissenschaft und Fachpraxis unstrittig. Etabliert wurden diese Mindeststandards bisher in keinem Bundesland.
Für Kinder und Kita-Fachkräfte ist die Kita-Welt nicht in Ordnung. „Wir können unserem gesetzlichen Auftrag, Kinder bedürfnisorientiert zu betreuen, sie zu bilden und zu fördern, nur sehr eingeschränkt nachkommen.“ sagt die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Bayern, Veronika Lindner. „Viele Kindern auf engem Raum mit wenig Personal verhindern eine gute pädagogische Qualität.“ Dem stimmt Melanie Krause, die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Niedersachsen/Bremen zu: „Jedes Jahr schicken wir schweren Herzens Kinder mit sprachlichen, motorischen Defiziten oder Verhaltensauffälligkeiten in die Schule, weil wir in den Kitas nicht genug Zeit und Raum haben, uns den Kindern so zuzuwenden und sie in ihrer Entwicklung zu begleiten, wie das notwendig wäre.“
Die Kita-Fachkräfteverbände sind sich einig, dass Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit unter den aktuellen Rahmenbedingungen auf der Strecke bleiben. Die ersten Lebensjahre sind entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Hier werden die Grundlagen der Bildungsbiografie gelegt, Talente gefördert oder viel Potential brachliegen gelassen.
Wir brauchen endlich ein Kita-Qualitätsgesetz, das seinen Namen zu Recht trägt. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam festlegen, wer zu welchen Teilen einen kindgerechten Kita-Alltag für unsere Jüngsten finanziert.
Wenn wir uns als Gesellschaft einig sind, dass Kinder das Wichtigste sind, was wir haben, muss frühkindliche Bildung und eine kindgerechte Betreuung, auch wenn es um die Finanzierung geht, an erster Stelle stehen.

Kindgerechte Kitas sind keine Frage des Schicksals, sondern des politischen Willens.

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Not macht erfinderisch – aber ist das gut? (Interview mit der dpa) 05.06.2023

Über diesen Anruf haben wir uns gefreut. Unsere erste Vorsitzende Anja Braekow findet klare Worte.  Der Artikel wurde in zahlreichen Zeitungen abgedruckt, wir haben hier vier Links exemplarisch eingefügt.

Das System Kita steht vor dem Kollaps, Tagespflegepersonen können helfen aber sind auch nicht die Lösung für alle Probleme.

https://www.news4teachers.de/2023/06/wir-koennen-den-nicht-erfuellen-fachkraefteverband-fordert-den-rechtsanspruch-auf-einen-kita-platz-auszusetzen/

https://www.zvw.de/baden-w%C3%BCrttemberg/kita-misere-not-macht-erfinderisch-aber-ist-das-gut_arid-671740

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.kita-misere-in-baden-wuerttemberg-not-macht-erfinderisch-aber-ist-das-gut.942bea78-4d8c-42b5-b9dd-d37ac997666d.html

https://www.stern.de/gesellschaft/regional/baden-wuerttemberg/bildung–kita-misere–not-macht-erfinderisch–aber-ist-das-gut–33577542.html

Für Rückfragen stehen wir zur Verfügung, ebenso für Interviewanfragen.

Für eine Chancengleichheit brauchen wir bessere Lösungen als einen Rechtsanspruch der von Anfang an ( seit 10 Jahren) nicht erfüllt werden kann.

Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim – Kitaplatz (06.12.2022)

Nach einer Klage eines Elternpaares wurde der Rechtsanspruch eines Kindes auf einen Kitaplatz sichergestellt. Nachzulesen zum Beispiel hier:

4https://www.sueddeutsche.de/leben/kindergaerten-mannheim-gericht-staerkt-kita-anspruch-von-familien-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-221206-99-799784

Dieser Beschluss mag rechtlich einwandfrei sein, für uns als Kitafachkräfte setzt es ein Zeichen dem wir uns entschieden entgegen stemmen. Unsere Pressemitteilung vom 11.12.2022:

„Der Dreiklang zwischen Bildung – Erziehung – Betreuung muss in baden-württembergischen Kitas endlich wieder ausgewogen werden“ äußert sich Anja Braekow 1. Vorsitzende des Verband Kita-Fachkräfte Baden-Württemberg über den Beschluss des Verwaltungsgerichts Mannheims. „Der nun durch den Verwaltungsgerichtshof gefällte Beschluss zeigt auf, in welche Richtung die Kommunen angehalten sind zu handeln und er zeigt klar auf, in welchem Rahmen die Landes- und Bundespolitik angehalten ist nachzujustieren, damit das Verhältnis zwischen Bildung – Erziehung – Betreuung nicht völlig aus dem Gleichgewicht gerät“ führt sie weiter aus. „In der aktuellen Situation sind alle gefordert: Arbeitgeber, Kommunen, Bund und Länder, um Betreuungsplätze zu schaffen und dabei die Qualität in den frühkindlichen Bildungseinrichtungen nicht aus dem Blick zu verlieren“, denn die Bildungsqualität ist es, die für Chancengleichheit sorgen wird und die Arbeitszufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte maßgeblich beeinflusst. „Die Auswirkungen spüren wir seit geraumer Zeit: immer mehr Fachkräfte kehren den Kitas den Rücken zu oder beginnen erst gar nicht im Kita-Bereich, weil ihr Anspruch an qualitativ hochwertige Arbeit mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist. Diese Diskrepanz führt zu emotionalem Stress, welcher wiederum einen hohen Krankenstand beim Personal hervorruft“ führt Anja Braekow weiter aus.
„Mit diesem Beschluss steht der Rechtsanspruch über dem Kindeswohl. Gerade in der heutigen Zeit, so stellen immer mehr Experten fest, leiden kleine Kinder zusehends unter Lärm und Reizüberflutung. Eine generelle oder auch temporäre Erweiterung der Gruppenstärke in bestehenden, teils veralteten und zu kleinen Räumlichkeiten, erhöht diese Stressoren bei Kindern und pädagogischen Fachkräften und wirkt sich unmittelbar gesundheitsschädlich aus“, beschreibt sie eine der vielen Auswirkungen einer Gruppengrößenerweiterung.
Braekow fordert ein Kita-Qualitätstreffen, denn „die Wichtigkeit der frühkindlichen Bildung und die Qualität in den Kitas muss endlich wieder in den Fokus rücken. Nur dann kann es gelingen, Fachkräfte zu gewinnen und allen Kindern ein gutes Bildungs-Fundament mitzugeben. Hierfür braucht es aber die entsprechenden Bedingungen und über diese müssen wir mit allen Beteiligten diskutieren“.